Eine These zu Gelenkschmerzen

2011 brach ich mir den Mittelfinger meiner rechten Hand. Damals lebte ich auf Lanzarote und die medizinische Versorgung war dort eingeschränkt. An einen handchirurgischen Eingriff oder Ähnliches war nicht zu denken. Also beschloss ich erstmal abzuwarten, wie sich mein Finger entwickelt. Zudem ich beruflich bedingt ja in der Lage war, zu erkennen, wenn in der Regeneration etwas schief lief. Und mein Finger regenerierte. Zwar war er etwas krumm und verdreht, aber eine Karriere als Hand-Modell strebte ich nicht an und funktionell war alles soweit in Ordnung. Nur meine mittleren Fingergelenke konnte ich nicht mehr komplett beugen. Das störte mich im Alltag und im Beruf allerdings nicht. Doch nur wegen dieser mittleren Fingergelenke, lieber Leser, erzähle ich Dir überhaupt von meinem gebrochenen Finger. 

 

Wenn ich versuchte, den Finger, mit der linken Hand passiv weiter zu beugen, war dies natürlich schmerzhaft. Auch wenn ich aktiv einen kompletten Faustschluss mit der rechten Hand probierte, spürte ich einen dumpfen Schmerz in meinem Mittelfinger. Jahrelang nahm ich diese Einschränkung als Unfallfolge hin und hatte eigentlich auch keine Probleme.

Dann kamen die Faszien! Als ich anfing, mich mit Beweglichkeit und Bewegungseinschränkungen im Zusammenhang mit den neuen Erkenntnissen über unser Fasziensystem zu beschäftigen, dachte ich immer wieder an meinen rechten Mittelfinger. Täglich nutzte ich ihn im Alltag, Beruf und beim Sport. Doch nach wie vor fehlten die letzten 2 cm Beugung. War das vielleicht nur eine hartnäckige fasziale Verklebung? Ich beschloss daran zu arbeiten. Ich begann mit der linken Hand meinen rechten Mittelfinger passiv, mit sanfter Gewalt, aber schon mit Gewalt, weiter zu beugen. Scheinbar eindeutig signalisierte mir mein Finger, dass ich das mal brav lassen soll. Denn es war tatsächlich ganz schön schmerzhaft. Doch sollte mich dieses Schmerzsignal nun davon abhalten weiter zu machen? Hierzu noch eine weitere kurze Geschichte, lieber Leser.

Eine Freundin von mir hat zwei niedliche Hündchen, die auf die humorvollen Namen Monster und Hexe hören. Eines Tages zeigte Hexe (klein, weiß, wuschelig) eine Auffälligkeit. Stets beim Aufstehen, jaulte sie kurz auf. Eine Untersuchung zeigte, dass dies der Beginn einer sogenannten Hüftkopfnekrose war. Der Hüftkopf, der vereinfacht dargestellt die "Kugel" des Hüftgelenkes bildet, begann abzusterben. Der Schock war groß und ich fragte mich, ob Hexe jetzt ein künstliches Hüftgelenk bekommen wird. Der Tierarzt klärte uns auf, bei Hunden unter zehn Kilo, wird der Hüftkopf einfach abgesägt. Und fertig! Das heißt, es gibt keine gelenkige Verbindung mehr zwischen dem Oberschenkelknochen und der Gelenkpfanne bzw. dem Becken. Kaum zu glauben, doch es stimmt. Durch die Muskulatur und natürlich die stabil-elastischen Faszien entsteht ein "Scheingelenk". Doch zunächst wackelt der Oberschenkelknochen unkontrolliert umher. Leicht vorstellbar, dass dies eine sehr schmerzhafte Angelegenheit sein muss. Doch lag Hexe nur rum und bewegte sich kaum? Nein! Zwar belastete sie das Bein anfangs nicht. Doch sie versuchte so schnell wie möglich in die Bewegungsnormalität zurückzukehren. Zunehmend benutzte sie ihr Bein wieder. Mit Sicherheit unter gewaltigen Schmerzen. Doch Hexe machte sich keine Gedanken. Gedanken wie, „Oh mein Gott, mein Hüftkopf ist weg“, „Das kann ja nichts mehr werden“, „Das tut jetzt aber weh ", „Bloß nicht überlasten“, waren ihr fremd. Denn ihr Instinkt sagte ihr: „So schlimm wird es nicht sein! Nicht mehr laufen können, ist keine Option! Übe jeden Tag und geh an deine Grenzen! Einfach loslaufen!" Und genau das tat sie. Heute weiß ich nicht mal mehr, welche Seite operiert wurde. Sie tobt und spielt, als wäre nie etwas gewesen.

Tatsächlich bin ich überzeugt, wir haben verlernt, unseren Körper richtig zu lesen, Signale richtig zu deuten. So wissen wir doch, dass Schmerz ein Alarmzeichen ist, oder? Nein, nicht immer! Oder besser beschrieben: Ja, doch ab wann?! Die Schulmedizin ist sich nicht einig. "Ein bisschen schmerzhaft darf es sein" oder auch "es darf bloß nicht schmerzhaft sein". Oft heißt es: „Gehen Sie etwas in den Schmerz hinein, aber nur bis zur Schmerzgrenze." Doch wo ist die Schmerzgrenze? Schmerzempfinden ist in der Tat sehr subjektiv. Einige schneiden sich bloß in den Finger und sind sofort der Ohnmacht nahe. Andere bemerken das nicht mal und fragen sich später, wann das überhaupt passiert ist. Fakt ist, der zivilisatorisch lebende Mensch, muss körperlich nichts mehr ertragen.

Und, lieber Leser, selbstverständlich ist das auch gut so! Doch dadurch sind die Rahmenbedingungen optimal, um dem geringsten Schmerz eine riesige Bedeutung beizumessen. Und diese Fehleinschätzung kann tatsächlich unangenehme Folgen haben. Denn nicht jede körperliche Reaktion erscheint sinnvoll.

Verdrehen wir uns beispielsweise eine Schulter, jedoch ohne ernste Verletzungen, sind Bewegungen anschließend natürlich schmerzhaft. Das ist in der Regenerationszeit eindeutig sinnvoll. Um nach der Regeneration die normale Beweglichkeit wiederherzustellen, muss die Schulter jedoch schmerzhaft (mal mehr, mal weniger) mobilisiert werden. Wer in dieser Phase jeden Schmerz meidet, wird nie die volle Beweglichkeit zurückerlangen. Und manche Patienten verharren geradezu in der Schonhaltung. Das ist sogar verständlich. Denn widersprüchliche Informationen verschiedenster Quellen, führen zu der Angst etwas verkehrt zu machen. Schwere Bewegungseinschränkungen bei eigentlich harmlosen Verletzungen sind dann die Folge.

Denn (das ist wichtig) Gelenke, die nicht genutzt werden, versteifen oder entwickeln eine eingeschränkte Beweglichkeit.

Früher war das sicherlich sinnvoll. Verletzte sich vor 5000 Jahren ein Mensch als Beispiel schwer am Ellbogen, so dass dieser tatsächlich nicht mehr gebraucht werden konnte, wurde dies durch srarke Bewegungsschmerzen vermittelt. Unser Freund aus der Jungsteinzeit wird stets versucht haben unter Schmerzen seinen Ellbogen zu nutzen. Und er war hart im nehmen. Geschont hat er sich nicht. Das Ziel war die Wiederherstellung der Beweglichkeit. Doch bei anhaltenden, massiven Beschwerden, gab er mit der Zeit auf. Mit den Monaten und Jahren versteifte der Ellbogen. Er wurde quasi zu einem Knochen. Nach Abschluss dieser Verknöcherung, verschwanden die Schmerzen aus dem Ellbogen. Wahrscheinlich, so würde ich vermuten, war dieser nun fixiert in einer Position von etwa 90°. Denn so konnte er nach wie vor den Arm mit dem kaputten Ellbogen nutzen, z.B. um mit Werkzeugen zu arbeiten. Dieser Versteifungsmechanismus unseres Körpers schützte ihn vor lebenslangen Schmerzen.

Leider setzt dieser Versteifungsmechanismus auch ohne Verletzung ein. Wird ein Gelenk nur wenig oder in sehr eingeschränktem Bewegungsumfang genutzt, findet dieser Prozess tatsächlich statt. Natürlich nur im kleinen Rahmen. Es wird nicht zur Verknöcherung kommen. Aber zu schweren Verklebungen und spürbaren Bewegungeinschränkungen. Bei einem gesunden Gelenk Ist das eigentlich sinnlos. Wieso es dazu kommt, bleibt nur Spekulation. Tja, wahrscheinlich hat die Natur nicht damit gerechnet, dass ein gesunder Mensch schlichtweg aufhört sich regelmäßig zu bewegen. Nun ja, lieber Leser, auch mir ist das ein Rätsel, wenn du verstehst, was ich meine. Für mich ist Bewegung wie Nahrung: essenziell!

Nun, lieber Leser, möchte ich noch den Zusammenhang zwischen meinem rechten Mittelfinger und dem operierten Bein von Hexe herstellen. Für Tiere ist Schmerz kein Alarmzeichen sondern nur eine Bremse. Ja, ich glaube, so hat es sich die Natur auch gedacht. Regeneration braucht Zeit. Und um nicht zu übertreiben, gibt es mehr oder weniger starke Schmerzsignale. Hexe versuchte von Anfang an zu laufen. Unter Schmerzen. Doch wurde der Schmerz zu stark, hielt sie sich zurück. Mit voranschreitender Genesung wurde der Schmerz immer weniger und sie konnte immer einen Schritt weitergehen. Nur so erreichte sie das Maximum an Regeneration. Ich hingegen, habe ja gar nicht erst probiert, meinen Finger wieder komplett zu beugen. Das tat ja weh. Doch wie stark war der Schmerz? Verglichen mit dem Schmerz, den ich hatte, als der Finger frisch gebrochen war, war dieser Beugeschmerz gar nichts. So machte ich mich ran. Immerhin war die Fraktur schon 4 Jahre her. Und trotzdem war es möglich. 2 Monate später konnte ich meinen Finger ganz normal beugen. Und warum auch nicht? Die Gelenke in meinem Finger hatten mit dem Knochenbruch nichts zu tun. Sie waren kerngesund. Ich hatte nur aufgehört, sie weit genug zu beugen.

Das, lieber Leser, ist so wichtig! Nutze Deine Gelenke! Denn nutzt Du sie nicht, schadest Du ihnen! Wir müssen nicht mehr auf dem Boden hocken, um Feuer zu machen. Oder durch den Busch kriechen, um uns an Beute heranzuschleichen. Das zivilisatorische Leben ist gelenkunfreundlich. Doch du kannst gegenangehen. Lese dazu auch meine Blogartikel "Maximale Gelenkbewegungen" und "Mein Selbstversuch - So therapierte ich ein altes Leiden".

Wie willst Du sein, lieber Leser? Beweglich oder unbeweglich? Du hast es in der Hand! Triff Deine Wahl !!!


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Kommentare: 1
  • #1

    Marion (Montag, 05 März 2018 09:09)

    Ich habe schon vor einiger Zeit meine Wahl getroffen.
    Dieser Artikel motiviert dazu in Bewegung zu bleiben, und diese noch zu verbessern. Was mir durch Deine kompetenten Behandlungen mittlerweile gut gelingt. LG