Was sind Faszien?

Wenn man einen Roman liest, hat man von den Hauptfiguren immer eine gewisse Vorstellung, wie sie wohl aussehen mögen. Wird dieser Roman verfilmt, ist man stets gespannt, ob die Schauspieler der eigenen Vorstellung entsprechen oder nicht. So in etwa ging es mir, als ich mir das Buch von Dr. Guimberteau kaufte. Denn nach all den Büchern, die ich zum Thema Faszien schon gelesen habe, und durch mein ständiges Ertasten und Behandeln von Faszien, ist in meinem Kopf ein relativ klares Bild zu deren Aussehen entstanden. 

 

Mittels hochmoderner, endoskopischer Kameratechnik liefert der französische Chirurg nun allerdings Bilder am lebenden Gewebe, wie es sie bisher noch nicht gab. Während diverser Operationen, holte er sich von den Patienten das Einverständnis, kurze Untersuchungen oder besser Forschungen durchführen zu dürfen. Und verfilmt hat er diese tatsächlich auch. Denn dem Buch liegt eine 35-minütige DVD mit zahlreichen kurzen Filmsequenzen bei. 

 

So - nun könnte ich vom Hundertstel ins Tausendstel gehen, doch die seeehr detaillierte Darstellung der Histologie (Gewebelehre), lasse ich mal weg und konzentriere mich auf die funktionellen Tatsachen. 

 

Nun denn - meine Vorstellung von einer netzartigen, alles verbindenden Struktur wurde grundsätzlich bestätigt. Wie sich allerdings die Faszienflüssigkeit, die so genannte Grundmatrix, in diese Netzstruktur integriert, war mir nie so richtig klar. Tatsächlich entstehen aus diesem Netz unzählige, winzige, flüssigkeitsgefüllte Hohlräume. Ein bisschen wie lauter ineinander hängende Seifenblasen. Nur dass diese Seifenblasen mit einer Flüssigkeit gefüllt und nicht so schön rund sind. Sie erinnern eher an verdrehte Würfel bzw. Vielecke. Die einzelnen Eckpunkte (natürlich keine scharfen Ecken und Kanten) sind durch die winzigen, fest-elastischen Fasern der Netzstruktur verbunden. Auch innerhalb der flüssigkeitsgefüllten Vielecke verlaufen Fasern des Netzwerkes und sorgen so für die typisch fasziale, elastische Stabilität. Natürlich findet Stoffwechsel bzw. Flüssigkeitsaustausch in den Räumen statt, denn in jedem Vieleck befinden sich winzigste Blut- und Lymphgefäße sowie Zellen mit verschiedensten Funktionen. Die in den Hohlräumen befindliche Flüssigkeit sowie die Wände bestehen aus einer gelartigen Substanz, einer Mischung aus einem Protein und Kohlenhydraten sowie aus Kollagen, einem festen Strukturprotein. Diese Flüssigkeit befindet sich auch zwischen den Faszien und dem benachbarten Gewebe. Eine schichtartige Trennung besteht hier allerdings nicht. Sie gehen ineinander über.

 

Pustet man gegen ineinander hängende Seifenblasen, reagieren diese auf den Impuls mit einer Formveränderung, kehren dann aber wieder in ihre Ursprungsform zurück. Genau so reagiert auch das Kontinuum des Faszien-Vieleck-Netzwerks! Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Impulsverteilung. Angenommen unsere ineinander hängenden Seifenblasen haben ein  Volumen von  z.B. 5 m³. Wird eine Wand nun einem Impuls ausgesetzt, ist die Reaktion dort natürlich am größten. Doch, je nach Intensität, überträgt sich die vom Impuls ausgelöste Bewegung, auf die hintersten Strukturen unseres Seifenblasen-Kontinuums. 

 

Guimberteau hat immer wieder erwähnt, dass es keine Schichten oder Hohlräume gibt. ALLE Gewebe sind über das Fasziensystem miteinander verbunden. Und innerhalb des Fasziensystems gibt es keine Unterbrechungen. Nun bedenke, dass Faszien sich in die kleinsten Strukturen erstrecken. Selbst jedes Blutgefäß und jeder Nerv hat seine eigene Faszienhülle.  D.h. lieber Leser: Die "galea aponeurotica", eine derbe Sehnen-, bzw. Faszienplatte auf dem Schädeldach, ist klar anatomisch und nicht metaphorisch, mit beispielsweise einem kleinen Hautnerv in der großen Zehe verbunden. Für mich persönlich entsteht z. Z. eine neue, greifbare Sicht von Ganzheitlichkeit.

So - ich will auch nicht zu weit aushohlen...

 

Kurz möchte ich noch mal auf unsere Faszien als Puffersystem eingehen. Ständig sind wir äußeren Einwirkungen ausgesetzt. Selbst wenn du auf einer weichen Matratze liegst, müssen die, wenn auch sanften aber ja vorhandenen Druckimpulse ausgeglichen werden. Kommt es nun zu Verklebungen bzw. Störungen im Fasziennetz, können die einwirkenden Kräfte nur unnatürlich oder gar nicht verteilt werden. Auch die Stoffwechselfunktionen der Faszien sind gestört. Beschwerden entstehen!

 

Vor kurzem kam eine Patientin zu mir mit Darmproblemen. Sie hatte Verstopfung. Und zwar schon seit Wochen. Sie war auch schon bei einigen Ärzten aber keiner mochte ihr so richtig helfen. Also machte ich eine so genannte Darmmassage. Diese Behandlung mache ich selten, denn meine Spezialisierung liegt ganz klar in der Therapie des Bewegungsapparates bzw. in der Schmerztherapie. Dennoch beherrsche ich natürlich die Darmmassage und hier war sie sinnvoll. Man folgt auf der Bauchdecke dem Verlauf des Dickdarms und unterstützt so die natürlichen Darmbewegungen. Dabei merkte ich aber, dass ich an einer Stelle auf der Bauchdecke einfach nicht voran kam. Das Gewebe ließ mich nicht durch. Es war fest und staute sich regelrecht. Die Patientin sagte darauf hin, dass sie auch das Gefühl hätte, im Darm ginge es genau dort nicht weiter. "Naja - löse doch einfach mal die Verklebung", dachte ich mir. Wie bereits erwähnt, ich behandelte nur die Bauchdecke. Nicht mal sehr tief. Früher hätte ich gesagt, ich bin im Unterhautfettgewebe. Am Ende der Behandlung, kam ich fast ohne Widerstand durch das Gewebe. Am nächsten Tag rief die Patienten extra an und berichtete, dass die Behandlung von Erfolg gekrönt war und bedankte sich. 

Ok - manch erfahrener viszeraler (innere Organe) Osteopath würde jetzt wahrscheinlich denken: „Na toll, du Superheld. Das war doch klar!“ Doch für mich war das ein Aha-Erlebnis!

 

So - ich könnte noch viel mehr schreiben aber dann wird's zu lang. Ich erhebe auch keinen Anspruch darauf, das Buch von Jean-Claude Guimberteau oder eher die Auszüge, die ich gewählt habe, richtig interpretiert zu haben. Das ist ein Buch, was man mindestens zweimal liest.

 

Für mich und meine Zukunft steht fest: Mein Wissenshunger ist größer denn je! 

Da geht noch richtig viel und ich bin dabei !!

 

Und dich, lieber Leser, halte ich stets auf dem Laufenden....

 


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Kommentare: 2
  • #1

    amelin (Donnerstag, 06 April 2017 23:44)

    sehr interessant..super erklärt. danke!

  • #2

    Faszien Hamburg (Donnerstag, 15 Juni 2017 01:49)

    Lieber Kollege einen guten Artikel hast du geschrieben mit viel Wahrheit,
    Vielleicht können wir uns in der Zukunft connecten,LG Nasrin Schneider